Meine letzte Reitstunde war wieder eine jener Reitstunden, nach denen man sich ernsthaft fragt, warum man sich nicht ein Hobby mit etwas geringerem Frustpotenzial ausgesucht hat. Vielleicht Bridge. Oder Scrabble. Oder Malen nach Zahlen.
Was des Reitens Faszination ist, ist auch sein Verhängnis: Es ist Sport mit lebendigen Wesen – und zwar hochsensiblen lebendigen Wesen. Das müssen sie sein, denn es sind Flucht- und Herdentiere. Das führt zu dieser manchmal so glückseligen, oft aber auch zermürbenden Symbiose zwischen Sportler und Sportgerät. Das Sportgerät weiß immer ganz genau, wie es um den Sportler bestellt ist.
Wenn wir erschrecken, weil eine Katze von der Bande springt, erschrickt das Pferd gleich doppelt, denn wir sind die Leitstute, auch wenn wir uns das in diesem Moment kaum vorstellen können. Aber der Adrenalinstoß geht mit einer höchst kuriosen Form der Zeitvorverschiebung einher (das Pferd merkt den Schreck, bevor wir registrieren, dass wir uns erschrecken) und das Rösslein unter uns wird gleich mal ein wenig mit hysterisch.
Das ist die eine Seite. Aber da gibt es auch noch die andere Seite, uns sie ist nicht minder kraftraubend. Sie zeigt sich dann, wenn wir gerade so gar nichts leitstutenmäßiges an uns haben. Wenn eine Erkältung in den Knochen steckt, das Stresslevel ungahnte Höhen erklimmt und wir eigentlich lieber schlaff auf dem Sofa hängen wollen und sollten als in den Stall zu fahren. Aber Reiten ist ja was Schönes, denken wir, und vielleicht rettet es den Tag, vielleicht schenkt es uns Endorphine, und in purer Selbstüberschätzung machen wir dann noch ausgerechnet an diesem trüben Abend die Steigbügel ein Loch länger, das klappt schon irgendwie. Nein, tut es nicht. Bevor wir uns überhaupt richtig hochgeschwungen haben, spürt Herdentier Pferd: Ach, so ist das heute. Transusentag. Keine Flugdinosaurier am Himmel, keine Raubtiere hinter der Bande. Chillen ist angesagt. Wenn die Leitstute so matt und träge ist, kann ich es auch sein und mir nen schönen Lenz machen. Galopp? Och nö. Heute nicht. Und wenn, dann nur drei Sprünge. Gut, einen halben vierten. Das war es aber auch. Schenkelweichen? Wie bitte? Weiß nicht, wie das geht, hab ich nie gelernt. Viereck verkleinern, Viereck vergrößern, haha, das glaubst du wohl selbst nicht. Schlangenlinien? Ich bleib lieber stehen und äppel ein bisschen. Ich kann das zwar auch im Traben, aber warum sollte ich es tun? Wir schlafen ja quasi schon.
Und die Leitstute sitzt keuchend und schimpfend und schwitzend auf ihrem Herdentier und sehnt sich nach einer berechenbaren, ruhigen, entspannenden Partie Bridge.
Das alles wäre eigentlich schon genug des Frusts – aber nein, zur Krönung sind die beiden anderen Reiter und ihre Herdentiere ausgerechnet an diesem schwarzen Abend in Hochform und glänzen mit verlängerten Trabschritten, Überstreifen und eleganten Galoppwechseln. Grmpf.
Nein, dem Herdentier kann und darf es wahrlich nicht vorgeworfen werden. Es hat wie immer der Reiter Schuld. Aber aufgeben wäre zu einfach. Deshalb bleibt am Schluss die vage Hoffnung, dass die Symbiose bald mal wieder glückselig ist.
Wer will schon Bridge spielen!?
Eine Antwort auf „Tag wie dieser oder: der Fluch des Herdentiers“
Vielen Dank für den spitzen Artikel. Ich war letzte Woche bereits mal auf dem Blog hier. Mal sehen, eventuell lockt mich die große Suchmaschine ja noch mal hier her.